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Transhumanz

„Memento mori“ im Schnalstal

Vor Jahrtausenden bestand die Landwirtschaft nicht darin, im großen Stil zu produzieren und zu handeln. Nein, es waren Höfe, die all ihre Kraft investierten, um zu leben. Sie versorgten sich selbst, frönten in ertragreichen Sommern und trotzten den harten Wintern. Alles, was der Stall und die Weide hergaben, war für die Familie und das hofeigene Vieh vorgesehen. Bereits bei diesem Gedanken, könnte man sehnsüchtig werden. Ein Aussiedlerhof, hoch oben, weit hinten – niemand der nach uns verlangt, eine Flut an Aufgaben freisetzt oder unser Tun beschleunigt. Nur wir und unser Werk, das wir bestimmen. Doch zur damaligen Zeit ist man weit entfernt von einem romantischen Gedanken an Abgeschiedenheit. Leben und besonders Überleben waren die Aufgaben, die es zu bewältigen galt. Jeder für sich, jeder mit seinen eigenen Gedanken und Visionen.

Gianni Bodini, italienischer Fotograf und Künstler

aus Mailand (inzwischen wohnhaft im Vinschgau)

„Ich durfte die Transhumanz im Jahr 1984 zum ersten Mal begleiten. Damals war ich der einzige Fremde und durfte einfach dabei sein. Das war der Zeitpunkt, als das Schaf eine wichtige Rolle in meinem Leben übernahm. Danach habe ich weltweit Schafe auf ihren Reisen und ihr Leben begleitet. Ich erforsche alles, was im Zusammenhang mit diesen Tieren steht, und arbeite mich durch sämtliche Archive. Gerade habe ich begonnen zu lernen, alte Schriften zu lesen. Ich möchte erfahren, was Menschen zu jeder Zeit bewegte, den Schafstrieb zu bewältigen. Das hat häufig nichts mit Romantik gemeinsam. Es war ein Überlebenskampf. Doch schön, dass das Schaf, anders wie so häufig vermutet, in keiner Weise dumm ist. Das Schaf findet immer einen Weg.“

Vision bedeutet Zukunft, Zukunft heißt, voranschreiten. Der Fortschritt kehrte auch im Schnalstal, ein Seitental des Vinschgau ein. Man träumte von größerem, von etwas mehr Wohlstand, der die angenehmen Seiten des Lebens zu Tage bringt. Man wollte gelten und gesehen werden. Das Maß der Zeit war die Landwirtschaft. Man strotzte und handelte mit dem, was vorhanden war. Je mehr Vieh man sein eigenen nennen konnte, desto glänzender das Prestige. Im Schnalstal waren Schafe das Gold der Bauern und das Wetteifern um das bedeutendste Ansehen ihr Geschäft.


Gut, dass die Evolution die Generationen nicht ausschließlich eigenständig walten lässt und immer dann eingreift, wenn der Mensch etwas außer Kontrolle gerät. So auch bei den Ressourcen, die uns die Erde schenkt. Die Anzahl der Schafe im Schnalstal überstieg die Menge an vorhandenem Futter – an saftig, grünem Gras. Was mitunter der Lage geschuldet war. An den Südhängen des Hauptalpenkamms war es heiß und demnach trocken. Das Grün und der Saft fehlten. Bauern machten sich auf den Weg und fanden auf der Nordseite der Öztaler Alpen genau das, wonach ihr Vieh verlangt. Fruchtbarer Grund auf österreichischem Boden wurde gekauft und zur Sommerweide gekürt. Den Schafsherden damit die Bedingung auferlegt, eine Reise auf sich zu nehmen: Die Transhumanz.

Das ist Wanderweidewirtschaft zwischen zwei klimatisch unterschiedlichen, saisonal bedingten Landschaften. 3.200 Meter geht es hinauf, 1.800 Meter wieder hinunter. 44 Kilometer über drei Tage hinweg. Das ist die Reise, die die Tiere im Juni auf sich nehmen, um auf ihre saftigen, grünen Sommerweiden zu gelangen. Im September geht es den gleichen Weg zurück. In diesem Fall ins Vinschgau, die Region, aus der die Gastschafe stammen, die ihre Genossen aus dem Schnalstal jedes Jahr über den Hauptalpenkamm begleiten. Die einheimischen Schnalser Schafe wandern etwas gemächlicher, zum Beispiel durch das Rofental, über das Hochjoch nach Kurzras. Oder durch das Niedertal, über das Niederjoch nach Vernagt. Stets dabei, ihre Hirten, die sich mit ihren exzellent ausgebildeten Hirtenhunden zwischen, neben und hinter den Tieren mitbewegen.


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