0

Das Krampus-Brauchtum in Kitzbühel

Verblüht, verdorrt und leblos?

Ließe die Wolkenlücke einen Blick zu, wir würden den ersten Schnee auf dem Kitzbüheler Horn erblicken. Nasskalt ist es. Unbehaglich. Oben tanzen die ersten Flocken, hier unten prasseln schwer die Regentropfen auf den Asphalt. Trotzdem aber ist genau heute der richtige Zeitpunkt für unseren Besuch. Denn wenn die Tage kürzer werden, beginnt in
Kitzbühel eine teuflische Saison: Es ist Krampus-Zeit!

Kitzbühel, mit seinen edlen Restaurants, den engen Sträßchen und luxuriösen Hotels, stellt einen wunderbaren Bilderbuchanblick dar – selbst bei Regenwetter, keine Frage! Bald schon werden wir aber in eine ganz andere Welt eintauchen. Es ist die Welt eines uralten Brauchtums. Die Welt einer gruseligen Tradition, die einem schlechten Traum entsprungen zu sein scheint. Und es ist die Welt von Christoph Rieser, der all das mit Handarbeit, Herzblut und einer beachtlichen Motivation zusammen-, ja sogar am Leben hält. 

Eine Höllenpforte – mitten in Kitzbühel
Schon von der Straße hören wir ein tiefes Hämmern. Rhythmisch und mit einem schrill verzerrten Gitarrensound. Als wir dann die ersten Stufen in die Kitzbüheler Gruselwelt hinabsteigen, strömt uns der Geruch von Propylenglykol in die Nase: Kunstnebel! Um erste Eindrücke zu sammeln, benötigen unsere Augen dagegen länger als Geruchs- und Hörsinn. Denn auch wenn es draußen schummrig grau scheint, hier unten können sich unsere Augen nur langsam an die Dunkelheit adaptieren.

Christoph Rieser empfängt uns in seinem Reich hinter der Pforte. Mit langem Bart, breitem Nasenpiercing, grobem Strickpullover voller Holzspäne und kräftigem Händedruck. Museumsdirektoren stellt man sich üblicherweise ganz anders vor. Hier unten ist aber ohnehin nichts normal. Ganz im Gegenteil!

Von den Wänden starren mich unzählige Fratzen an. Einige lachen hämisch. Andere scheinen im ewigen Martyrium zu schmoren. Und wieder andere, so glaube ich es fast, würden nichts lieber tun, als mir ins Gesicht zu springen, um mich auf direktem Wege mit in ihr dunkles Grab zu reißen. Es scheint Leben in den Masken zu stecken – auch wenn einige von ihnen einhundert Jahre und älter sind.

Es spuckt unter den Tennistribünen 
Rieser klärt uns auf, während wir uns vorsichtig der Fratzen-Wand nähern. Einige davon habe er selbst geschnitzt, die meisten aber sammelten sich einfach mit der Zeit an. 750 solcher Krampusmasken hängen nun schon in jenen Katakomben, die eigentlich mal den Keller-Komplex eines Sportgebäudes darstellten. Viel ist von dem ehemaligen Verwendungszweck der Räumlichkeiten nicht mehr zu sehen. Gar nichts, um genau zu sein. Denn die glatten Mauerwände hat der kreative Bastler mithilfe von rauem Putz zu felsigen Steingemäuern werden lassen. Tiefe Stollen. Eng verwundene Gänge. Hier ein Holzverschlag, dort eine geschlossene Tür, durch deren Ritzen man hindurchspicken könnte – wenn man sich traut.

Und natürlich: Hinter jeder Ecke, jedem Felsen, jeder Tür lauern die schaurigen Masken, die Rieser mit Licht und Schattenspielen gut in Szene zu setzen versteht. All das, jeden Felsen, jede noch so detaillierte Präsentation, jede Idee, einfach alles hat Rieser eigenhändig erbaut.

Zu den Braven kommt der Nikolaus, zu den Unartigen der Krampus
Genug gegruselt. Wir wollen wissen, was dahintersteckt. Was ist der Hintergrund, was ist ein Krampus überhaupt? Christoph Rieser führt uns dafür hinter die Kulissen seines Museums, welches sich übrigens nur durch eine kleine Kiste an der Höllenpforte finanziert. Wer mag, der spendet beim Eintreten eine Kleinigkeit – oder er spendet beim Verlassen. Denn wer sich im Museum umgesehen hat, der wird schnell feststellen, dass hier viel mehr als nur Zeit und Schweiß in diese alte Tradition investiert wurde.

Die Tradition! Um die geht es Rieser bei all dem. Sie möchte er pflegen. Sicher: das Vereinsleben, die Gemeinschaft, die schöne Handarbeit, das gehöre schon auch dazu. Herzstück sei aber die Tradition. Und die ist uralt! Sie geht in Teilen sogar zurück bis in eine vorchristliche, heidnische Zeit. Im 17. Jahrhundert entwickelte sich dann in den Klöstern der Alpen der Brauch zur Einkehr, wobei der Nikolaus die Höfe im Tal besuchte und die braven Kinder reich beschenkte. Und hinter dem Nikolaus? Da schlürfen bis heute die grausigen Gestalten, mit ihren zotteligen Fellen, mit Ruten, Glocken und Ketten. Denn zu wem nicht der Nikolaus kommt, zu dem kommt der Krampus! 

Das ist auch der Grund, warum im Krampusmuseum eine Nikolausfigur zu sehen ist. Mit dem rotweißen, sauberen Mantel steht er natürlich ganz im Kontrast zu den Wesen der Unterwelt. Das ist ohne Zweifel so gewollt – genauso wie der pädagogische Charakter, den die rutenschwingenden Monster mit sich bringen. Apropos Ruten: Hier hinter den Krampus-Kulissen ist nicht nur Riesers Werkstatt, sondern gleichzeitig auch der Vereinstreffpunkt der Ruatn Pass.

„Das ganze Jahr arbeiten wir auf diesen kurzen Augenblick hin…“
Eine Pass, so nennt sich die Vereinigung von ungefähr zehn Krampussen – Männern wie Frauen. Das Wort übrigens, leitet sich wahrscheinlich von „Krampen“ ab, dem altdeutschen Wort für Kralle. Möglich ist aber auch eine Verbindung zum bayerischen „Krampn“, womit etwas Verblühtes, Verdorrtes oder Lebloses gemeint ist.

Leblos? Keineswegs ist dieses Brauchtum leblos! Das merken wir daran, dass sich Rieser gleich wieder an die Arbeit macht. Es ist Hochsaison und seine Arbeit gefragt! Mit kräftigen Nähmaschinen verbindet er unzählige Leder- und Fellfetzen, die überall in der schummrigen Werkstatt herumliegen. Ein wirkliches System ist in seiner Arbeit für uns gar nicht erst zu finden, doch später wird der geschickte Schneider noch eine ganze „Kollektion“ präsentieren, welche er für eine befreundete Pass entworfen hat. Die schweren Anzüge werden diese Woche noch von ihren zukünftigen Trägern abgeholt, wobei Rieser gleich noch letzte Details und Anpassungen vornehmen kann – „damit das Gwandl auch perfekt passt.“ Eintausend Euro (natürlich ohne Maske) wollen ja auch nur investiert werden, wenn alles optimal sitzt.

Viel bleibe allerdings von dem Verkaufspreis nicht übrig, so Rieser, der gleich hinzufügt, dass in eine übliche Lederhose für gewöhnlich ein oder zwei Hirschhäute fließen, in ein komplettes Gwandl aber bis zu zehn! Und die Masken? Die schnitzt er aufwändig aus edlem Zirbenholz, welches sich dafür besonders gut eignet. Später wird es detailliert bemalt. Mit Acryl- oder Ölfarben. Und schlussendlich ist auch eine Menge Kreativität von Vorteil: Die langen Zungen, welche aus den Holzmäulern hängen, gießt der Künstler aus Silikon. Mit Kleber aus dem Baumarkt wird Fleischwunden noch mehr Tiefe und Ausdruck verliehen. Und auch wenn die Behornung der Masken meistens echtes Naturmaterial ist, hat der findige Krampusmacher schon Hörner aus einem Drahtgestell und Bauschaum hergestellt. Gigantisch groß, teuflisch verdreht, absolut detailgetreu, aber gerade noch so schwer, dass sich das Gewicht auf den Masken noch einigermaßen tragen lässt. 

„… und dann kommt der Adrenalinkick“
Und irgendwann ist er da, der 5. Dezember. Wenn es dunkel wird, hält in Kitzbühel der Nikolaus mit seinen Engeln Einzug. Er zieht durch die Innenstadt – entlang einer festgelegten Route – und wird natürlich von jeder Menge Schreckgespenster verfolgt. Es ist ein echtes Schauspiel, mit viel Lärm, Feuerspuckern und natürlich Zuschauern, die den Weg säumen. 

Hinter den Masken stehen dann die Männer und Frauen der Ruatn
Pass sowie der vielen anderen Vereinigungen der Umgebung. Heiß ist es unter den dicken Gwandln. Durch die klobigen Masken können sie kaum etwas sehen. Aufregung, Rauch! Flammen und Funken! Alles ist in Bewegung. Es ist der Höhepunkt des Jahres, wie ein Rausch soll das sein, so Rieser.

Früher noch, bis vor einigen Jahren sogar, lief der Krampuszug bei weitem nicht so sortiert ab. Gleich einige Tage lang liefen damals noch die Passen wie wild durch die Straßen. Wann und wo man auf sie traf? Ungewiss! „Sicher war damals der Respekt vor den Krampussen noch ein anderer“, so Rieser. Doch gut organisiert ist heute der Krampusbrauch zwar ein etwas anderer, dafür aber auch ein noch gewaltigerer. Einen Abend lang verwandelt sich Kitzbühel in eine schaurig schöne Gruselstadt. Der Krampuszug wird zum beeindruckenden Spektakel. Und dank Menschen wie Christoph Rieser dürfen wir dieses Schauspiel, diese uralte Tradition, weiterhin erleben. 

Autor: Benni Sauer

Nichts mehr verpassen mit Alpstyle-Abo!

Abos & Preise

Aktuelle Stories lesen

11 Apr., 2024
Was die Alpen sind? 
09 Apr., 2024
Gleich bei Ihrer Ankunft wird Sie der atemberaubende Blick auf Ettal, das Kloster und die Berge begeistern – Weitblick, den Sie von unserer Hotelterrasse, vom Panoramafenster im Wellnessbereich und vielen Zimmern genießen können. Oberhalb von Ettal, abseits vom Getümmel der Straßen, bleibt die Zeit für einen Moment stehen.
09 Apr., 2024
Das Vier-Sterne-Superior Parkhotel am Soier See liegt gut 60 Autominuten von Augsburg und München entfernt, am Ufer des Soier Sees.
mehr
Share by: