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Bildschön!

Murnau am Staffelsee –
ein Kunstwerk der Voralpen

Wie wir ins Blaue Land fahren, werden unsre Augen immer größer. Der Ausblick in die Alpen ist überwältigend! Das geübte Auge eines Fotografen, das eines Malers oder eines anderweitigen Künstlers erkennt sofort, was dieses Bild so besonders macht. Der Aufbau, die Proportionen sind schlicht perfekt: Vom 700 Meter über dem Meer gelegenen Standort blickt man zunächst über das Murnauer Moos, eine gigantische und schützenswerte Naturlandschaft, die allein schon einem Gemälde gleicht. Dahinter allerdings, da ragen fast schon kitschig perfekt positioniert die Hochalpen empor. Die wuchtige Alpspitze. Der kecke Waxenstein. Und die beiden höchsten Gipfel Deutschlands. Hochwanner und Zugspitze. Die Verblauung, ein seit der Renaissance beliebtes Stilmittel in der Malerei, gibt dem Bild Tiefe. Je weiter sich die Bergketten von uns entfernen, desto weicher, desto blauer wirken sie. Ein Effekt der in den gesamten Alpen, ganz besonders aber hier in Murnau, hier im Blauen Land zur Geltung kommt. Weil eine so gelungene Arbeit natürlich auch gerahmt werden möchte, zieht schließlich noch von links der Grat des Frickens und von rechts der des Labers ins Bild. Ein echtes Meisterwerk! 


Im Blauen Land scheint schlichtweg alles unter dem Zeichen der Kunst zu stehen. Und so ansprechend wie Natur und Ausblick, wirkt schließlich auch der Stadtkern der Marktgemeinde auf uns. Hier treffen wir auf Franziska Tusch. Die Murnauerin war einst Lehrerin, erklärte Kindern die Welt. Heute erklärt sie uns ihr Murnau. Und wie draußen vor der Stadt, ist es auch hier zwischen den Häusern kein Zufall, dass alles so attraktiv und ästhetisch auf uns wirkt. Emanuel von Seidl war es, der aus einem ganz normalen grauen Örtchen das bunte Murnau werden ließ. Der Architekt baute bereits 1901 eine Villa am Stadtrand, erschuf aber schon bald darauf ein ganzes Konzept für einen neuen Ortskern. Bis dahin war Murnau nicht mehr als ein Knotenpunkt zweier wichtiger Handelsrouten. Zweckmäßig. Gut gelegen. Doch Seidl sah in der Stadt ein noch viel größeres Potential und initiierte die Ortsverschönerung des Marktes Murnau. Einfach alles wurde farblich angepasst. Ganze Häuser wurden bunt bestrichen und aufwändig bemalt. So entstand ein völlig eigener Stil, der keineswegs vergleichbar ist mit den berühmten Lüftlmalereien ein oder zwei Städte weiter. Seidls Liebe fürs Detail war sogar so groß, dass er niederschrieb welche Bepflanzung neben den neu angebrachten Sitzbänken zu stehen hat. Dass also vor dem Rathaus eine weißgestrichene Bank von zwei kugelrunden Buxbäumen flankiert wird, ist kein Zufall, weiß unsere Stadtführerin. 

Eine Zeit lang hätte man in Murnau auf derart vermeintlich unwichtige Kleinigkeiten nicht sonderlich geachtet. Doch mittlerweile lege man wieder großen Wert auf das Geschenk, dass Seidl der Stadt machte, so Tusch. Immerhin soll der Architekt in Murnau eine geschätzte Persönlichkeit gewesen sein. Er verschönerte die Stadt, feierte rauschende Feste und sollte sich einmal ein Bewohner die teure Wandfarbe nicht habe leisten können, half er nur zu gern aus. 


Die Gedenktafel Seidls finden Besucher am Murnauer Rathaus. Wer sich aber wirklich an den gebürtigen Münchner erinnern möchte, der flaniert lieber durch die Gassen, erkundet die vielen kleinen, liebevoll geführten Geschäfte, oder besucht Seidls Grab gleich neben der katholischen Pfarrkirche St. Nikolaus.


Auch hier weiß die Stadtführerin ein kleines Detail zu erwähnen: Seidl starb 1919 im Alter von 63 Jahren in seinem Geburtsort München. Die Zerstörung, welche der Zweite Weltkrieg aber mit sich brachte, beschädigte auch den Münchner Waldfriedhof. Seidls Grabstätte drohte dort zu verwahrlosen und so beschloss man die Gebeine des Murnauer Ehrenbürgers auf die Kosten des Historischen Vereins Murnau ebendort hin zu überführen. Die von den Münchnern angefertigte Grabtafel enthält dabei bis heute einen kleinen Fehler. Auf ihr ist nämlich zu lesen, dass Seidl Ehrenbürger der Stadt Murnau war. Murnau aber zählt als Markt und nicht als Stadt.

Neben Seidls Baukunst ist noch eine weitere Künstlergemeinde in Murnau allgegenwertig: Die des Blauen Reiters – Wassily Kandinskys und Franz Marcs Künstlergemeinschaft. Ihre Werke und die der anderen Angehörigen des Blauen Reiter, gehören mit zu den wichtigsten Stationen der Klassischen Moderne. Schlichter Expressionismus, dem sogar gerade bei Kandinsky und seiner Lebensgefährtin Gabriele Münter, von Jahr zu Jahr mehr Details verloren zu gehen scheinen. Das weltberühmte Künstlerpaar vollzog in Murnau einen markanten Wandel – anders als in den großen Städten ließen sich die Maler von diesem Flecken Erde geradezu beflügeln. Ob es nun an den Farben der Häuser, an der Aussicht, oder am Blau der Berge lag? Sicher haben gleich mehrere Gründe dazu beigetragen, erklärt uns Franziska Tusch. Bemerkenswert aber sei, dass die Stilwandlungen der Künstler genau nachzuvollziehen sind. Teils lässt sich sogar an ihnen nicht nur die eigene Findung, sondern auch der Fortschritt Murnaus erkennen. Denn Kandinsky und Münter malten nur zu gern ihre Wahlheimat – manche Motive gleich ein Dutzend Mal. Aber eben immer ein klein wenig anders als zuvor. Von Seidls Grab aus können wir einen wunderbaren Blick genießen. Dabei fällt ein schönes Häuschen am Ortsrand auf, das sogenannte Münter-Haus. Hier lebte die Künstlerin bis zu ihrem Tod 1962, malte und versteckte dort die Kunstwerke Kandinskys vor den Nazis. Mittlerweile wurde das Haus der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Ein beliebtes Museum und eines der wichtigsten Gebäude Murnaus.


Es steht ein Mittagessen im Ortskern an. Im Griesbräu finden wir deftige Speisen, typisch bayerisch, natürlich mit hauseigener Brauerei. Der Familienbetrieb Gilg setzt im uralten Gebäude auf Tradition und Gastfreundschaft – seit nun schon 100 Jahren. Im Innenraum kann man dem Braumeister direkt über die Schulter schauen, wo der warme Dampf der Maische diesen schönen Raum in eine ganz eigene Atmosphäre hüllt. Draußen sitzen derweil die Gäste im kühlen Schatten und genießen einen der drei Bierklassiker, oder aber je nach Jahreszeit auch eines von insgesamt neun Saisonbieren. 



Das Griesbräu selbst ist neben dem Brauerei- und Gasthausbetrieb auch ein beliebtes Ziel für Übernachtungsgäste. Die neu gestalteten Zimmer unterliegen alle einem Konzept mit Bierbezug: In der Hopfendarre dominieren angenehm grüne Farbtöne. In der Malztenne dagegen tragen erdige Brauntöne zum Bild bei. Im Brunnenhof ist es das Blau des Wassers. Fließende Details im Treppengeländer, ein Fischgrätmuster im Eichenholzparkett, der Hopfen, der sich auf der kleinen Gartenterrasse die Rankhilfen emporzieht: All das ist kein Zufall. Selbst die Türklinken jeder einzelnen Tür sind aufwändig handgeschmiedet. Im Griesbräu kommt eben nichts von der Stange!

Vor mehr als einhundert Jahren waren hier auch Münter und Kandinsky gerne eingekehrt. Ihnen gefiel dabei nicht nur das Haus selbst, sondern auch der Blick aus den Fenstern, hinaus auf die Sträßchen Murnaus. Michael Gilg zeigt mir während einer kurzen Führung durch sein Griesbräu deswegen auch ein Zimmer mit besonderer Geschichte. Münters „Obere Hauptstraße in Murnau“ entstand 1908 in diesem Raum – sogar der Blick aus dem einzigen Fenster des Raumes ist sofort wiederzuerkennen. Ein geschichtsträchtiges Haus – mit einem Fenster, welches einen echten Blick in die Vergangenheit gewährt.


Draußen vor dem Gebäude scheinen wir dann zunächst wieder in die Gegenwart einzutauchen. Doch mit dem Wissen der begabten Stadtführerin bleibt dieses Gefühl nicht lange bestehen. Die wunderschöne Fußgängerzone auf der wir stehen, war beispielsweiße bis ins Jahr 2000 eine vielbefahrene Straße. Und selbst bis letztes Jahr war die Fassade des Griesbräu noch in leuchtendem Gelb angestrichen. Im ursprünglichen Zustand allerdings war das Haus mit einem schlichten Grün bemalt worden. Natürlich beschloss man, sich an das Konzept Seidls zurückzuerinnern und eine Wiederherstellung des eigentlichen Stadtbildes anzustreben. Bei der Auswahl des Grüntones orientierte man sich dann selbstverständlich an den Gemälden von Kandinksy und Münter. Heute sieht das Griesbräu wieder genau so aus wie auf den Gemälden des einstigen Künstlerpaares. Es ist ein perfektes Bild. Eben ein echtes Kunstwerk der Voralpen. 

Autor: Benni Sauer

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