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Bayern von unten und oben

Am Kochel- & Walchensee

70 Kilometer südlich von München. Am frühen Abend erreichen wir Kochel am Ostufer des gleichnamigen Sees. Unaufdringlich schmiegt sich das kleine Örtchen ans Wasser, bietet gerade in den Sommermonaten einen perfekten Platz für wunderschöne Sundowner. Natürlich genießen wir hier auch gerne schmackhafte Fischgerichte. Urig bayerischen Flair. Landleben. Die Einfachheit des Seins.

Im Schusterhaus

Am frühen Morgen des nächsten Tages treffen wir mitten in Kochel auf Max Leutenbauer. Der 59 Jahre alte diplomierte Förster ist ein echter Macher, jemand der die Dinge gern in die Hand nimmt. Weiße Wandfarbe beim kräftigen Händedruck. Eine freundliche Begrüßung. Und auch ein nicht zu übersehender Funken stolz in den Augen. Leutenbauer ist erster Vorsitzender des Vereins für Heimatgeschichte im Zweiseenland, jener Verein, der beschloss das fast 500 Jahre alte Gebäude in der Kochler Bahnhofstraße zu sanieren. 


Die Farbe ist schon fast abgeblättert: Schuhhaus Josef Schöfmann steht auf dem Türsturz des schlichten Kleinbauernanwesens. Ein winziges Schaufenster. Sonst nichts. „Unauffälliger geht´s ja kaum“, denke ich mir. Doch schon Leutenbauers erste Sätze lassen erahnen, dass hinter den Mauern ein echter Schatz, ein echtes Stück bayerische Geschichte versteckt liegt. Im Inneren des Gebäudes müssen sich unsere Augen dann erst an das schummrige Licht gewöhnen. Es ist angenehm kühl und langsam können wir mehr und mehr Details wahrnehmen. Die dicken Mauern, durch welche kleine Fenster nur das nötigste Licht einlassen. Raue Holzdielen, die uneben den Boden auslegen, mancherorts sogar zentimetertief abgenutzt sind. Eine kleine Werkbank, vor der ein einfacher Schemel steht. Die drei Beine der Sitzgelegenheit haben sich über die Jahrzehnte tief in den Holzboden gearbeitet. Man braucht nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, dass ein Schuster sein ganzes Leben auf diesem Hocker verbracht hat.

Der Vereinsvorsitzende erzählt mir derweil die Geschichte des Hauses. 1581 wurde es erbaut, seit 1647 durchgehend von Schustern bewohnt. Der letzte Schuster, sein Name war Josef Schöfmann, starb kinderlos im Jahr 2010. Ein einfacher Mann soll Schöfmann gewesen sein. Herzlich, ehrlich und fleißig. Bis kurz vor seinem Tod war der Schuster hier tätig. 82 Jahre alt ist Josef Schöfmann geworden.


Schon zu dieser Zeit war das Haus in einem sanierungsbedürftigen Zustand. Der Heimatverein war es schließlich, der das Konzept eines Museums erarbeitete – und damit bei der Gemeinde auf offene Ohren stieß. Sogar die Deutsche Stiftung Denkmalschutz unterstützte daraufhin die schon seit 2015 geplanten Restaurierungsarbeiten. Ausgebesserte Böden. Neuer Putz. Eine neue Heizanlage. Glücklicherweise konnte der Verein mit seinen Mitgliedern, von denen viele selbst ausgebildete Handwerker sind, die Kosten ein bisschen senken. Wirklich aufwändig aber, so Leutenbauer, soll die Verlegung der Elektrik gewesen sein. Da waren natürlich Spezialfirmen am Werk. Da wurde von Grund auf alles erneuert. 


Nicht zuletzt, weil der Heimatverein große Pläne hat: So sollen zum Beispiel aus den uralten Wandschränken beleuchtete Ausstellungsmöglichkeiten werden. Außerdem sollen Informationen über Monitore dargeboten werden. Im Schusterhaus verschmilzt also gerade die Vergangenheit mit der Gegenwart. Die Kabel hierfür wurden schon verlegt. Der Verein ist auf dem Endspurt einer fünf Jahre andauernden Reise, die einen mittleren sechsstelligen Betrag verschlang. 

Gelohnt hat sich das aber allemal! Das neue Museum wird ein echter Schatz, auch weil die Sammelleidenschaft der früheren Hausbesitzer eine lückenlose Dokumentation der Zeitgeschichte gleichkommt. Alles wurde aufgezeichnet. Beispielsweiße wann und an wen ein Zimmer untervermietet wurde. Unzählige Rechnungen, die Auskunft über Reparaturen und Bauarbeiten am Haus geben. Jede noch so kleine Anschaffung ist nachvollziehbar. Max Leutenbauer und seinem Stellvertreter Dr. Jost Knauss wurde für den Erhalt des Schusterhauses sogar 2021 der Oberbayerische Denkmalpreis übergeben. Und wie mich Leutenbauer durch sein Herzensprojekt führt, weiß er zudem zu jeder Kleinigkeit etwas zu erzählen. Zum Beispiel warum im Obergeschoss unter der weißen Wandfarbe rabenschwarzer Ruß zum Vorschein kommt. Dieser Raum war über viele Jahre quasi der Rauchabzug des Hauses. Das offene Feuer im Untergeschoss war ja in der kalten Jahreszeit überlebenswichtig – einen Kamin aber gab es damals noch nicht. 


Auch ein leerer Uhrenkasten im Arbeitsraum des ehemaligen Schusters wäre mir nicht aufgefallen, hätte es mein Museumsführer nicht explizit erwähnt. Die Uhr samt Pendelmechanik hatte Schöfmann einst in Zahlung geben müssen. Dem Heimatverein ist sogar bekannt, wo sich die Uhr derzeit befindet – ob sie allerdings bis zur Eröffnung des Museums wieder an ihren ursprünglichen Ort zurückkehren wird, bleibt ungewiss.


Die etwa 70 Mitglieder des Vereins haben also ganze Arbeit geleistet, das Haus wird sogar gleich mehrere Funktionen erfüllen: Ein sowieso benötigter Bürgertreff, ein hübsch ausgebauter Veranstaltungsraum und natürlich Lena Habersetzers Café mit gemütlichem Biergarten und Bergblick. 26 Jahre ist die Konditormeisterin jung. Sie eröffnete bereits Anfang dieser Sommersaison und bringt als erste neues Leben ins Schusterhaus. Im schick restaurierten Café haben früher noch Schweine und Kühe gehaust. Viel ist davon nicht mehr zu erkennen. Doch als Leutenbauer mir einige Fotografien zeigt, wird mir schnell klar, wie viel Engagement wirklich im Schusterhaus steckt. Einige 1000 Stunden Arbeit seien das schon gewesen. Dafür aber habe man nicht nur Räumen eine neue Funktion gegeben, sondern eben auch etwas ganz Neues erschaffen. 

Am Herzogstand

Keine 15 Minuten fährt man vom Schusterhaus auf der Deutschen Alpenstraße, da hat man schon den ersten Aussichtspunkt erreicht. Der Kochelsee liegt da bereits 200 Höhenmeter unter uns. Kaum vorstellbar, dass wir gleich den zweiten See des Zwei-Seen-Landes entdecken werden, der allerdings seinen Wasserspiegel ungefähr 50 Meter über unseren Köpfen in der Sonne glitzern lässt. 


Der Walchensee ist ein echtes Naturjuwel. Das 190 Meter tiefe Gewässer speist zwar seit beinahe einhundert Jahren das Wasserkraftwerk zwischen Walchen- und Kochelsee, doch ist er ein natürlich entstandener See – und noch dazu einer der tiefsten der deutschen Alpen. An seinem Westufer erreichen wir nach einer kurven- und aussichtsreichen Fahrt die Talstation der Herzogstandbahn. Ludwig II. wusste schon diese Bergregion zu schätzen. Ein extra für ihn angelegter Reitweg erleichterte ihm den Aufstieg. Oft nächtigte er in seinem Königshaus auf 1575 Metern oder genoss die Aussicht vom Gipfel des Herzogstands. Seit 1898 steht dort oben der Aussichtspavillon, von welchem man schöne Blicke auf die Seen und umliegenden Berge hat und der nun schon seit mehr als 120 Jahren instandgehalten wird. 


Heute bringt eine mittelgroße Gondel in nur vier Minuten Besucher zum Königshaus hinauf. Oben wartet dann ein einfacher Spazierweg – der Weg rüber zur bewirtschafteten Berggasthaus Herzogstand ist sogar barrierefrei. Prächtige Aussicht und urbayrische Leckereien sind schon hier in wunderschönem Alpen-Ambiente zu genießen. Wer den Gipfelpavillon erreichen möchte, der kann die restlichen 200 Höhenmeter zum Gipfel während einer kurzweiligen und wunderschönen Bergwanderung über leicht felsige Bergpfade überwinden. Von dort oben führt der berühmte Gratweg hinüber zum Heimgarten. Der Weg gehört zweifelsfrei zu den schönsten Gratwanderungen der gesamten Alpen, doch bleibt seine Begehung konditionsstarken, trittsicheren und schwindelfreien Bergwanderern vorbehalten. 


Allein schon schön anzuschauen ist der Gratweg aber allemal. Und auch wenn es den ein oder anderen Bergfex schon am Aussichtspavillon in Richtung Heimgarten zieht, dem sei gesagt, dass die Aussicht vom Herzogstand ohnehin die schönere ist.

Autor: Benni Sauer

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