0

Tonart

Zu Besuch in der Allgäuer Keramik

Die alte Holztür öffnet sich nur widerwillig. Während die Klinke, ein schlicht gebogener Metallwinkel, zu viel Spiel hat, klemmt auf der anderen Seite das Türblatt in der Zarge. Einmal geöffnet finde ich mich hinter dieser Tür in einem Raum wieder,

in dem die Zeit stehen geblieben zu sein scheint. Es riecht. Nach Holz. Und noch nach etwas anderem. Es sind die unzähligen kleinen Meisterwerke, die diesen Duft aussenden. Teller, Schüsseln, Becher, Krüge, allesamt in ihrer Schönheit vollkommen. Makellos stehen sie hier gestapelt. In einem uralten Holzregal, in einem Raum, in dem überhaupt nichts mehr gerade oder gar perfekt zu sein scheint, strahlen die Scherben eine fehlerlose Reinheit aus. 

Als Tonscherben bezeichnet Ruth Rebstock den einfach gebrannten Ton. Noch unglasiert, also matt, mit einer rauen Oberfläche, die nahezu farblos ist. Die gelernte Scheibentöpferin und diplomierte Glas- und Keramiktechnik-Ingenieurin leitet die Töpferei hier im Allgäuer Altstädten, nur wenige Kilometer südlich von Sonthofen. Sicher, die Türen und so manches in dem uralten Gebäude sei mittlerweile in die Jahre gekommen. Doch so ist es nun mal. Und je länger ich Ruth zuhöre, desto mehr verstehe ich, dass es auch genau so sein soll.


Ruth führt mich weiter durch die Töpferei, den verwinkelten Gebäudekomplex, vorbei an gigantischen Brennöfen. Für den größten musste sogar eine Wand eingerissen werden. Anders hätte das Ungetüm schlicht nicht in den Raum gepasst. Alles hier sei eben mit den Jahren gewachsen, auch wenn heute weit weniger Menschen hier arbeiten als noch vor einigen Jahrzehnten. Doch auch das ist in Ordnung. Die Mitarbeiterin, die kunstvolle Bergblumen auf einen Teller malt, sie arbeitet seit mehr als 50 Jahren in der Allgäuer Keramik. Und am anderen Ende des Raums wuchtet Ruths Vater Hans-Dieter schwere Formen in die Eindreh-Maschine. 82 Jahre ist er alt.

In einer meterlangen Glasvitrine bestaunen wir fast einhundert Jahre alte Krüge und Teller. Für Ruth ist hierbei vor allem spannend, wie sich der Malstil über die Jahrzehnte verändert hat. Mir dagegen sticht eine Fotografie ins Auge. Auf dem schwarzweißen Bild ist Hans Rebstock, Ruths Großvater zu sehen, wie er konzentriert an der Töpferscheibe sitzt. Im Hintergrund ist ein einfaches Holzregal zu sehen. Zweifelsfrei ist es das Regal im Raum über uns, in dem heute die Scherben lagern. Die Fotografie wurde in den 30er-Jahren aufgenommen.


Ruth erzählt gerne aus der Vergangenheit. Eine Vergangenheit, die ihr Vater und sie selbst erst Stück für Stück zusammensetzen mussten. Selbst heute noch finden sie dabei hin und wieder historische Aufnahmen, welchen sie dann versuchen eine Jahreszahl oder vielleicht sogar einen Namen zuzuordnen. Das gelingt allerdings nur selten, denn auch schon vor der Gründung der Allgäuer Keramik im Jahr 1936, war hier das Naturprodukt tonangebend. Vor nun schon mehr als einhundert Jahren entdeckte man nämlich unweit der heutigen Töpferei, im Imberggebiet, ein natürliches Braunkohle- und Tonvorkommen. Schnell wurde ein enormer Aufwand betrieben, um den Abbau dieser Rohstoffe ins Rollen zu bringen. Eine drei Kilometer lange Seilbahn. Sogar ein hölzernes Viadukt, das den Löwenbachtobel über eine Länge von mehr als 300 Metern überspannte. Großartige Ingenieurleistungen der „Keramik-, Holz-, und Bergwerk-Aktiengesellschaft ALPINA“, die zweifelsfrei belegen, dass hier Großes geschaffen werden sollte.


Als Standort für die Produktion kam der nahegelegene Bahnhof grade recht. Selbst heute noch ist die hauseigene Laderampe direkt am Gleisrand zu sehen. Vor allem Drainageohre wurden damals produziert und gingen aus dem Allgäu ins ganze Land. Ein mächtiger Bergrutsch aber verschüttete irgendwann den Stollen. Sein Eingang sollte nie wieder gefunden werden, auch das Viadukt war zerstört.


Züge halten heute keine mehr vor der Allgäuer Keramik. Fünf Tonnen Ton verarbeitet aber die Familie Rebstock mit ihren MitarbeiterInnen dennoch. Vor allem die Kässpatzenschüsseln sind beliebt. Und auch ihre Form ist fast schon ein Relikt aus der früheren Allgäuer Zeit, denn über den markant abgeschrägten Schüsselrand konnte man den Rahm abschütten, der sich auf der über Nacht abgestellten Milch bildete.

Es geht also auch um die Erhaltung all dieser kleinen Details. Sie sind sogar der Grund, warum es die Töpferei in den LandHand allgäu e.V. geschafft hat. Zwar bekommen heute Rebstocks maschinenbasierte Unterstützung, doch das Handwerk und vor allem das benötigte Wissen bleibt das gleiche, bleibt erhalten. Dazu gehöre eben auch, dass nicht jedes neue Projekt gleich auf Anhieb funktioniert. Neue Formen und Farben fordern viel Geduld und Erfahrung von den Handwerkern ab. Wärmeausdehnungskoeffizient. Vorgeglühte Metalloxyde. Kantenschlagfestigkeit. Töpfern ist viel mehr als nur dem Ton eine Form zu geben.


Nicht anders ist das bei Hans-Dieter an der Eindrehmaschine. Noch immer hievt er die schweren Formen hin und her und erzählt dabei von früher, als die Kässpatzenschüsseln noch von Hand gedreht wurden. Weil sich aber die Kunden exakt gleichbleibende Größen und Formen wünschten, entschied er sich irgendwann für die Anschaffung des rotierenden Geräts vor ihm. In eine massive Gipsform legt er dann eine genau abgemessene, mit dem Gummihammer vorverdichtete Tonscheibe. 

Auf Knopfdruck wird diese Form in Drehung versetzt und mit einer zweiten, sich ebenfalls drehenden Negativform von oben herab verpresst. Da die Formen mit unterschiedlicher Drehzahl laufen, wird der Ton effektiv verdichtet. Wie mir der Keramiker das erklärt, spüre ich schon bald seine Faszination für diesen Werkstoff. So vielseitig und haltbar sei kaum ein anderes Material, sagt er und zeigt aus dem Werkstattfenster. Dort kann ich aber nicht viel mehr als die Dächer Altstädtens sehen. „Aber klar“, dämmert es mir da. Auch sie sind mit nichts anderem als gebranntem Ton gedeckt!


Hans-Dieter erklärt voller Begeisterung, ohne dabei auch nur eine Sekunde seine Arbeit aus den Augen zu verlieren. Ein letztes Mal schneidet er mit dem Draht noch eine Scheibe vom Tonstrang ab, bevor er Nachschub holt. Um eine gleichbleibende Qualität des Tons zu garantieren, so erklärt er mir dabei, werden hier im Haus bis zu sieben verschiedene Tonarten miteinander gemischt. Und das Beste daran sei, dass es keine Restmengen gäbe. Um mir das zu präsentieren, nimmt er einen nassen Schwamm, benetzt damit das Reststück des vorherigen Strangs, schneidet vom Nachschub die richtige Länge ab und legt die Schnittflächen aufeinander. Fertig. Wie verschweißt. Mehr noch: Als die daraus geformte Kässpatzenschüssel aus der Eindrehmaschine kommt, ist nicht die geringste Auffälligkeit zu erkennen. Eben Perfekt. Makellos. So stellt er die neue Form neben die vielen anderen.


Autor: Benni Sauer


Allgäuer Keramik

Töpferweg 16 | 87527 Altstädten

www.allgaeuer-keramik.de


Nichts mehr verpassen mit Alpstyle-Abo!

Abos & Preise

Aktuelle Stories lesen

11 Apr., 2024
Was die Alpen sind? 
09 Apr., 2024
Gleich bei Ihrer Ankunft wird Sie der atemberaubende Blick auf Ettal, das Kloster und die Berge begeistern – Weitblick, den Sie von unserer Hotelterrasse, vom Panoramafenster im Wellnessbereich und vielen Zimmern genießen können. Oberhalb von Ettal, abseits vom Getümmel der Straßen, bleibt die Zeit für einen Moment stehen.
09 Apr., 2024
Das Vier-Sterne-Superior Parkhotel am Soier See liegt gut 60 Autominuten von Augsburg und München entfernt, am Ufer des Soier Sees.
mehr
Share by: