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Klein aber fein – seit über 70 Jahren!

Das Spinnradl in St. Leonhard in Passeier

Franz Haller steht in der Werkstatt vor einer surrenden Kardiermaschine. Das Gerät richtet die Schafwolle, genauer all ihre einzelnen Haare, in ein und derselben Richtung aus, was den nächsten Arbeitsschritt erleichtert: Das Spinnen. Auch das geschieht mithilfe einer alten, historisch anmutenden Maschine, die gleich nebenan steht. Längst gäbe es ja neue, viel effizientere Maschinen, aber davon will man hier im Passeiertal nichts wissen. Warum, erklärt mir Franziska Haller während einer kleinen Führung durch den Familienbetrieb.


Ihr Großvater war es, der 1948 die Spinnerei eröffnete. Mutig genug investierte er in Maschinen und Geräte, die bis zum heutigen Tage nicht nur noch immer die gleichen sind, sondern sogar noch an derselben Stelle stehen wie damals. Das wenige Licht, das durch die Fenster in den Innenraum und somit auch auf Franz Hallers Arbeit strahlt, es ist also das gleiche wie schon vor siebzig Jahren. Es scheinen tatsächlich die Uhren stehen geblieben zu sein. Und allein das zeugt schon von der großen Liebe, welche die Familie Haller in ihre Arbeit steckt. Allein das ist dafür verantwortlich, dass es das Spinnradl heute überhaupt noch gibt. Denn hätte Franziska, die jüngste von insgesamt vier Geschwistern, den Betrieb nicht übernommen, gäbe es ihn heute nicht mehr. Die junge Südtirolerin aber hat schon mit Mitte zwanzig die Geschäftsführung übernommen. Weil sie ihrem Vater ohnehin oft unter die Arme gegriffen hat – und sie es nicht hätte mit ansehen können, wie sich die Arbeit zweier Generationen einfach in Luft auflöst.

„Das war die richtige Entscheidung“, lacht sie mir da entgegen und zeigt stolz, was im Spinnradl entsteht: Maßangefertigte „Jangger“. Die traditionellen Jacken aus der Wolle der hiesigen Bergschafe gehören nach Südtirol wie Schlutzkrapfen und Schüttelbrot. Früher, weil die Kleidungsstücke einfach unheimlich robust waren und überall ihre Verwendung fanden – ganz egal ob nun beim Skifahren, oder der Arbeit auf dem Hof. Mit der Zeit hat sich das geändert, erklärt mir Franziska. Als ihr Großvater die Spinnerei eröffnete, nach dem Krieg, als der Tourismus langsam aufkam und die Menschen mehr Geld hatten, gewann die Tradition, die alte Tracht, wieder an Wert. Heute hat jeder im Passeiertal einen „Psairer Sarner“, der auch wieder im Alltag, vor allem aber zu feierlichen Anlässen getragen wird. Daneben entstehen in der Werkstatt noch jede Menge weiterer Artikel. Mützen, Stirnbänder, Socken und Accessoires.


Woher die Wolle stammt, frage ich Franziska mit Blick auf das farblich sortierte Naturprodukt, welches den Raum mit einem ganz eigenartigen Duft einhüllt. „Na, von hier“, lautet die Antwort. Die Schafzucht hat im Passeiertal nämlich schon eine ziemlich lange Tradition, weswegen Franziskas Lieferanten in der gesamten Region verteilt sind. Meist sind das ebenso kleine Familienbetriebe wie das Spinnradl, teils sogar mit nur sechs oder sieben Schafen. 


Vor Ort wird die angelieferte Wolle zuerst sortiert, dann gewaschen, kardiert und gesponnen. Man kann also im Spinnradl Verkaufsgeschäft, welches sich nur wenige Straßen von der Werkstatt entfernt befindet, auch einfach nur ein Knäul Wolle kaufen – meist in den üblichen Naturfarben: weiß, graumeliert und naturschwarz. Natürlich aber wird die selbstproduzierte Strickwolle auch an der Strickmaschine verstrickt. Diese Maschine ist genau so alt wie ihre Nachbarn, merkt Franziska an, leiste aber noch immer einen guten Dienst. Aus den so gestrickten Teilen, werden dann Einzelteile geschnitten, die Ränder vernäht und der Verschnitt für die kleinen Accessoires verwendet. So findet fast jeder Zentimeter Garn eine Verwendung in der Werkstatt. Nur was wirklich zu klein für eine sinnvolle Weiterverarbeitung ist, wird verschenkt. Beispielsweise an Schulen, die mit der Wolle Puppen ausstopfen oder andere kreative Ideen realisieren. 

Wenn die Tradition und das Handwerk aktuell wieder vermehrt wertgeschätzt werden, bestehe da nicht der Drang nach einer Expansion, will ich von Franziska wissen. Sie aber schüttelt den Kopf. Das Spinnradl ist das was vor uns steht. So war es schon immer. Und so soll es auch bleiben. Da spielt natürlich schon eine gute Portion Nostalgie und Alpenromantik mit, es gäbe aber auch praktische Gründe, so Franziska. Neue Maschinen sind zwar effizienter und können vollautomatisch betrieben werden, ohne dass ständig eine Arbeitskraft dabei sein muss. Doch die Geräte haben auch einen entscheidenden Nachteil: Die Wolle muss davor oft chemisch gereinigt werden, damit das Lanolin, das natürliche Fett des Tieres die Geräte nicht verklebt. Möchte man aber auf aggressive Chemie verzichten, was übrigens ein qualitativ hochwertigeres Endprodukt ermöglicht, da das Fett ganz besonders vorteilhafte Eigenschaften aufweist, müssen die Geräte regelmäßig aufwändig gereinigt werden.


Mit dem Lanolin haben die alten Maschinen in der Werkstatt des Spinnradls jedoch kein Problem. Sie arbeiten wie eh und je. Zwar etwas langsamer und mit größerem Aufwand, dafür aber mit dem gewünschten, hochwertigen Ergebnis. So wie es Franziska und ihren Kunden am liebsten ist. Naturnahe, ohne Chemie, nachhaltig und mit regionaler Wolle. Außerdem, so sagt sie noch, seien die Maschinen mit der Wolle, die im Tal produziert wird, ohnehin schon ausgelastet. Und um von außerhalb Wolle zuzukaufen, dafür habe Franziska schließlich nicht den Familienbetrieb ihres Vaters übernommen.


Fotos: Benjamin Pfitscher

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