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“Ich wollte auf keinen Fall so ein Hinterhoftätowierer sein.”

Hütmolar, den Hautmaler nennen sie ihn hier in Bad Hindelang. Den Mann mit den feingliedrigen Fingern, dessen Gesicht sich so klar vom Rest des Körpers abhebt, weil sich die schwarze Farbe wie Rauch über Arme, Finger, Hals und Kopf zieht. Wenn der Hautmaler malt, dann ohne Netz und doppelten Boden und daher auch ohne Reue. Jeder Stich, jeder Strich muss sitzen. Der Hautmaler ist der lebendige Beweis dafür, dass die alltäglichsten Dingen oft die eindrücklichsten sind, wenn man gelernt hat, richtig hinzuschauen.

Wer Daniel Bensmann (30) in seinem Atelier besucht, wird von einer schönen Italienerin begrüßt. Hinter der schweren Tür wartet sie. Eila, 5 Jahre, ein Cane Corso Italiano mit sanften, gutmütigen Augen und glänzendem Fell. Schwarz wie die Tusche, mit der ihr Herrchen des Nachts Tierhäute bemalt. Das mag makaber klingen, ist in Wahrheit aber beeindruckend, berührend und schlichtweg schön. Bensmann sitzt vor dem Rechner hinter dem hohen Tresen seines Studios. Er trägt Birkenstock, hat ein Bein angewinkelt und zur Brust gezogen, während er durch die Aufnahmen seiner gesammelten Werke klickt und dabei ruhig und leise erzählt. Der Trubel um ihn hat in der letzten Zeit zugenommen. Seit einer gemeinsamen Ausstellung in Bad Hindelang mit befreundeten Künstlern sind noch mehr Leute auf ihn aufmerksam geworden; wollen seine Tuschebilder sehen, kaufen, darüber berichten.

Bensmann ist ein ruhiger Geist mit Augen, deren Farbe man nicht so recht erfassen kann, aber von denen man ahnt, dass sie die Welt anders sehen als andere. Dann, wenn er als Jäger mit Eila durch den Wald streift und die Tiere der Gegend beobachtet oder sich anschaut, wie die Blätter in den Baumkronen Schatten werfen. Wenn er tief in die Gesichter der Menschen seiner Heimat kriecht, jede Falte, jedes Glimmen in sich aufsaugt und in seinem Atelier in Kunst verwandelt. Daniel Bensmann tätowiert am Tag und malt bei Nacht. Immer in schwarz, immer auf Haut. Entweder auf die seiner Kunden oder auf präparierte Tierhäute. „Kontraste sind viel interessanter als Farbe“, sagt er, dem man unter all den Schwarz- und Grauschattierungen auf dem Körper das sanfte Gemüt ansieht. Vor allem dann, wenn er über das spricht, was ihn zum Malen veranlasst. 

Die Tiere, der Wald, die Menschen, die hier wohnen und die er auf eine Art und Weise portraitiert, das man meint, ihre Augen müssten gleich blinzeln oder der Wind möge jeden Augenblick ihr Fell streicheln. „Man ist immer auch ein Produkt seines Umfeldes“, sagt er, „Ich könnte natürlich auch etwas anderes malen, aber das wäre dann eben nicht so echt.“ Vorlagen in Form von Fotografien braucht Bensmann nicht. Er malt aus seiner Erinnerung, seinem Kopfkino. Ob sich die Menschen hier auf seinen Bildern manchmal wiedererkennen, will ich wissen. „Die sind alle fiktiv“, antwortet er, „Die Menschen hier lassen sich nicht gerne portraitieren.“

Ursprünglich hatte Daniel Bensmann nie vorgehabt, die Bilder zu verkaufen. Erst, als die Kurverwaltung Bad Hindelang auf ihn aufmerksam wurde und nach einer Ausstellung fragte, wurde es ernst. „Ich habe damals um ein halbes Jahr Vorlauf gebeten, um überhaupt ein paar Stücke präsentieren zu können“, sagt Bensmann, der sich damals fragte, was er wohl mit den ganzen Bildern nach der Ausstellung machen sollte. Die Frage stellte sich nicht; sie wurden verkauft. „Es gibt Bilder, bei denen hofft man fast, dass sie nicht verkauft werden, weil man an ihnen hängt“, sagt er. Das Bild „Sehnsucht“ zum Beispiel – ein alter Mann mit gesenktem Kopf, der Geige spielt. Und trotzdem, jedes verkaufte Bild ist wie ein Glücksmoment für Bensmann, der es mag, wenn die Bilder dort hängen, wo viele Menschen sie sehen können – in Hotels, Restaurants oder in öffentlichen Gebäuden. Bensmann freut das Interesse um seine Person, obwohl er die Stille vorzieht, wie er sagt. Ein Grund, warum er Anfragen, die ihn als Tätowierer erreichen, nur noch 2-mal jährlich über ein Online-Formular entgegennimmt. 

Schlichtweg, um nicht zu viel Laufkundschaft zu haben und um nicht ständig ans Telefon gehen zu müssen. „So habe ich weniger Büroscherereien und muss letztlich einen Tag pro Woche weniger arbeiten“, sagt er und grinst. Für jeweils 24 Stunden haben Interessenten Zeit, sich über das Online-Formular für einen der begehrten Plätze zu registrieren. Danach hat Bensmann Aufträge für ein halbes Jahr. Er ist in der Tattoo-Szene bekannt und geschätzt, hat inzwischen Kunden auf der ganzen Welt, die seinen Stil für den Rest ihres Lebens auf der Haut tragen wollen. Eine große Verantwortung für Bensmann, der keine Fehler machen darf und es daher auch nicht tut. „Ich habe mich noch nie vermalt. Weder beim Tätowieren noch beim Malen mit Tusche“, sagt er. „Das wäre fatal, denn die Häute absorbieren die Farbe sofort. Überpinseln oder wegwischen geht nicht.“

Ob er ein Perfektionist sei, frage ich und Bensmann überlegt. Ja, sagt er schließlich. Das sei er wohl, aber man dürfe sich nicht zu sehr in Gedanken über Verantwortung und Tragweite verlieren – weder beim Malen, noch beim Tätowieren. Sonst würde das zu sehr einschränken. Als Bensmann mit 20 Jahren sein Tattoostudio eröffnete, zweifelten viele an ihm und seinen Fähigkeiten. Er vielleicht am meisten. „Ich habe lange geglaubt, dass ich nicht gut genug bin, es einfach nicht reicht. Ich wollte auf keinen Fall so ein Hinterhoftätowierer sein“, erzählt er. Nach drei harten Anfangsjahren hatte Bensmann Fuß gefasst und der Laden lief, musste vergrößert werden. Jegliche Zweifel waren fortan Geschichte, ebenso die Vorurteile. „Als die anderen gemerkt haben, dass ich bloß das mache, was ich gut kann und das sogar weltweit Anerkennung bekommt, hat das bei vielen einen Schalter umgelegt“, sagt Bensmann, der weiß, dass er lange Zeit als bunter Vogel im Ort galt. Vielleicht auch ein Grund, warum er seinem Studio nie einen englischen Namen geben wollte, sondern einen aus der Region.

„Die Berge, die Natur, die Flüsse und Wälder – das ist meine Heimat und ich bin so wie die Menschen hier“, sagt er, der seit 2015 in der Jagdgenossenschaft Hindelang tätig ist. „Die Menschen haben mittlerweile erkannt, dass ich keineswegs die Großstadt nach Bad Hindelang bringen wollte, sondern dass ich einer von ihnen bin; nicht zuletzt ein guter Jäger, der sich um die Tiere und die Natur kümmert.“ Heute liegt sein Studio Tür an Tür mit seinem Vater, dem Lederschneider Klaus Bensmann. In dessen Werkstatt hat er schon als Kind mithelfen wollen und mit den Punzierwerkzeugen und Tierhäuten experimentiert. Gemeinsam mit ihm hat er sein Studio ausgebaut, dabei möglichst viel Licht einfangen wollen, Platz für riesige Fensterfronten in den Wänden gelassen, durch die er heute auf den Iseler schaut. Ob das manchmal zu viel Nähe zu den Eltern sei. „Nie“, beteuert Bensmann, dessen Augen sofort aufleuchten: „Ich habe meinen Vater an Vatertag tätowiert. Er wollte gerne die Höhlenmalereien von Lascaux auf seinem Oberkörper haben. Ich glaube, das ist das absolut Coolste, was ich je gemacht habe.“ 

Text: Linda Hild
Bilder: Daniel Bensmann, Peter Hanne

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