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Zum Gemeinwohl

Apr. 03, 2020

Michil Costa findet die besten Tropfen des legendären Weinguts Sassicaia in der Toskana schlicht anbetungswürdig. Deshalb hat er ihnen im Weinkeller seines Hotels „La Perla“ in Corvara einen Tempel errichtet. Man kann dort zur Musik von Arnold Schönberg auf einem Schemel niederknien und einen Blick auf eine der beiden Flaschen des ersten Sassicaia-Jahrgangs von 1968 werfen, die sich im Besitz von Costa befinden. Es ist nicht sicher, ob es irgendwo auf der Welt noch weitere Bouteillen des Premieren-Jahrgangs gibt. Ihren Wert kann man deshalb nur schätzen, und trinken könnte man den Wein ohnehin nicht mehr. Er taucht deshalb auch nicht auf der Karte von Costas Gourmet-Restaurant „Stüa de Michil“ auf. Man kann sich dort aber einen Sassicaia für 13.000 Euro dekantieren lassen.

Zu teuer? – Nicht unbedingt. Denn unter die eine Million Gäste, die jeden Winter in das Hochtal im Herzen der Dolomiten pilgern, mischt sich viel italienische und inzwischen auch ausländische Prominenz. Italiens Minister, Zucchero, die Benettons und Ferraris, aber auch die Münchner Schickeria, der Kitzbühel und St. Moritz zu langweilig geworden sind – sie alle kommen nach Alta Badia. Natürlich auch wegen der atemberaubenden Kulisse der „Bleichen Berge“, wie die Dolomiten genannt werden. Aber sie kommen vor allem wegen Typen wie Michil Costa. Auf dessen Visitenkarte steht zwar noch immer „Hotelier“. Doch er ist längst auch zum Entertainer, Umwelt-Aktivisten, Trendsetter, bunten Hund und Philosophen geworden.

Costas Weinkeller „Mahatma Wine“ zum Beispiel ist weit mehr als eine beeindruckende Flaschen-Sammlung. Es ist ein multimedialer Erlebnis-Raum mit Licht- und Soundeffekten, in dem Costa seine Leidenschaft für guten Wein und gute Musik hemmungslos auslebt. Was „gut“ ist, gibt er selbst vor. Aber er durchläuft dabei durchaus Metamorphosen. Heute mag er die Musik von Schönberg, Tom Waits und Frank Zappa, früher waren es die Sex Pistols. Schon in jungen Jahren flüchtete er aus dem engen, oberen Gadertal nach London, lebte dort als Punk und wollte Rockmusiker werden. In England lernte er ein Mädchen kennen, deren Vater ein großer Weinkenner und Gourmet war. Er rief seinen eigenen Papa an und überredete ihn, einen alten Stadel zu kaufen. Zurück in der Heimat, richtete Costa dort seine „Stüa de Michil“ ein und servierte statt Speck und Schüttelbrot ein Champagner-Risotto. Die Nachbarn verdrehten die Augen, doch der Redakteur einer italienischen Wirtschaftszeitung berichtete über das Experiment. Fortan wussten auch die Mailänder Banker, wo man in Südtirol fein speisen konnte. Sie rannten ihm förmlich die Türen ein.

Die finanzielle Unabhängigkeit erlaubt es ihm, eigene – oft unbequeme – Meinungen zu vertreten und Wege zu gehen. Er legte sich zum Beispiel regelmäßig mit dem ehemaligen Südtiroler Landeshauptmann Luis Durnwalder an. Das traute sich nicht einmal Reinhold Messner, weil dieser für seine Museen das Geld Durnwalders brauchte. Costa kämpft auch lautstark für den Erhalt der ladinischen Kultur und Sprache, die er vom Massentourismus bedroht sieht. Er fordert weniger Skilifte, weniger Schneekanonen, weniger Lärm, weniger „porno-alpine“ Architektur mit kitschigen Erkern und unpassenden Schnörkeln, weniger Verkehr. Straßensperrungen an den Pässen rund um den Sella-Stock seien an einigen Tagen im Sommer durchaus zu bejahen. Auch die zunehmende „Lichtverschmutzung“ war ihm ein Thema: Es sei ökologisch nicht zu verantworten, die Weihnachtsbeleuchtung in den Gemeinden von Anfang Advent bis Ostern jede Nacht brennen zu lassen, nur weil das den Gästen ein romantisches Ambiente biete. Außerdem sehe man deshalb den wunderbaren Sternenhimmel über den Dolomitengipfeln gar nicht mehr so richtig. Inzwischen gibt es ein Südtiroler Gesetz, das die Beleuchtung strenger regelt.

 

Einigen Kollegen in den Talgemeinden fällt er damit gehörig auf die Nerven. Sie nennen seine Einfälle geschäftsschädigend und kritisieren ihn dafür, dass er sich nun von den Geistern abwendet, die er doch selbst gerufen habe. Vor einigen Jahren stellten die Einheimischen im August zwei Schneekanonen auf den Dorfplatz und ein Plakat mit dem Aufdruck „Flower-Power“ dazu. Der Umweltschützer Michil Costa wusste, an wen die Botschaft gerichtet war.

 

Seine Gäste goutieren Costas Philosophie des zeitweisen Verzichts. Sie wissen: Der Montag ist sein Schweige- und Denktag, da ist er für niemanden zu sprechen. Er geht dann auf Skitour, oder barfuß den Berg hinauf. Die Idee dazu hat er von Mahatma Gandhi: „Wenn dieser berühmte Mann es sich leisten konnte, einen Tag lang nichts zu sagen, dann kann ich das schon lange. Ich bin nicht so wichtig.“ Costa veranstaltete auch in seinem Hotel ab und an „Schweigeabende“, an denen weder Gäste noch Personal sprechen durften. Wer unbedingt etwas mitzuteilen hatte, tat das per Zettel und Bleistift.

In Corvara ist der Querdenker, Ex-Abgeordneter der italienischen Grünen, für seine Kompromisslosigkeit berühmt und berüchtigt. Seine Kritiker enttäuscht er selten. Es gibt kaum ein Thema, zu dem er keine Meinung hat. Grenzenloses Wachstum ist ihm mittlerweile suspekt: „Was bringen noch mehr Gäste? Macht uns das zufriedener?“ Costa möchte, dass die von Touristen überschwemmten Dörfer im Gadertal für die Einheimischen wieder lebenswert werden, mit weniger Kommerz und Hektik.

Er weiß natürlich, dass er mitverantwortlich für viele Fehlentwicklungen ist. „Im Rückblick würde ich vieles anders machen“, räumt er ein. Umso wichtiger sei nun der Richtungswechsel. Sein eigenes Haus führt er inzwischen nach den Vorgaben der „Gemeinwohl-Ökonomie“, einer Philosophie der Nachhaltigkeit und Fairness, der weltweit mehr als tausend Firmen folgen, darunter auch eine Handvoll Südtiroler Hotels und einige Kleinbetriebe. Er und sein Team hätten bereits viele kleine, aber feine Initiativen auf den Weg gebracht, für die es Gemeinwohl-Punkte sammle.

Den Freitag hat Costa zum Beispiel zum fleischlosen Tag erklärt. Am Buffet des „La Perla“ gibt es dann Rohschinken und Salami nur auf Nachfrage. Gänsestopfleber ist für alle Zeiten von der Karte verbannt. Auch Erdbeeren im Januar oder Äpfel im Juli sind tabu, willkommen dagegen sind heimische Lebensmittel. Wo das nicht geht – zum Beispiel bei Kaffee oder Fisch – achtet der Chefkoch auf biologisch erzeugte oder fair gehandelte Produkte.

Wer sein Auto vier Tage stehen lässt und an der Rezeption die Schlüssel abgibt, bekommt als Dankeschön eine kleine Flasche Sassicaia. Im Sommer stellt Costa kostenlos E-Bikes zur Verfügung. Er fordert seine Gäste dazu auf, ihren CO2-Fußabdruck zu kompensieren und legt die gleiche Summe obendrauf. Gästen des Restaurants „La Stüa“ berechnet er drei Euro extra, die an seine gemeinnützige Stiftung gehen. Die Lohnspreizung im Team versucht er in Grenzen zu halten. Auch der Chefkoch im Gourmet-Lokal soll nicht mehr als das Sechsfache des Zimmermädchens verdienen. Frauen ermutigt er explizit, sich auf Führungsjobs zu bewerben.

Nur die von seinen russischen Stammgästen heiß geliebten Austern bereiten Costa Kopfzerbrechen. Weil die Meeresfrüchte im Winter mit dem Flugzeug angeliefert werden müssen, will er sie nicht auf der Karte sehen. Er bietet jedoch an, sie in der Hotelküche zubereiten zu lassen, sofern die Gäste selbst sehen, wo sie die Austern auftreiben. Leider sind die Russen ziemlich gut darin.

Autor: Günter Kast | Bilder: © LA PERLA, Gustav Willeit

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