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Theater bei 87 Grad

In Südtirol verwandeln sich Saunameister in Schauspieler

Titelbild: Luis Trenker Sauna Event-Aufguss
© Quellenhof Luxury Resort Passeier | Florian Andergassen

Es hat 87 Grad, und vor mir tanzen zwei Männer in Lederhose den Schuhplattler. Aus den Boxen tönen moderne Schlager, alles bebt. Nebelmaschinen stoßen heißen Dampf in den Raum, mit ihm rasen Glückshormone kreuz und quer durchs Publikum. Genau wie die lila Laserstrahlen spielen die Hormone mit den Wänden Pingpong, schießen wild umher, werden immer schneller und immer mehr. Überall wird geklatscht, gesungen, gewippt. „Sie hieß Cordula Grün. Ich hab sie tanzen geseh’n. Cordula Grü-ü-ü-n, Cordula Grü-ü-ü-n.“ Die Boxen schreien einen Wiesn-Hit in den Raum, das Publikum schreit mit, die Schuhplattler tanzen, singen, wirbeln ihre Waden und Arme durch die Luft. Und das Publikum – das ist nackt. Ja, richtig gelesen. Das ist allerdings nicht ungewöhnlich. Denn wir alle sitzen, Handtuch neben Handtuch, in einer Sauna. Die Schuhplattler sind keine Musiker, auch keine Schauspieler. Genau genommen sind sie Saunameister. Und doch so viel mehr als das.

Vor diesem Show-Aufguss sitzt einer von ihnen, Saunameister Didi, ohne Lederhose, dafür im Bademantel, auf einer Bank im Garten. Neben ihm ziehen Schildkröten im Naturteich ihre Bahnen. Didi schaut auf die Uhr, viel Zeit hat er nicht mehr, dann muss er die Sauna hinter dem Teich noch einmal ordentlich aufheizen, sich als Bergbauernbua verkleiden und letzte Choreografie-Details mit seinen Kollegen besprechen. Der Zeitplan klingt nach der Vorbereitung auf ein Theaterstück. Es ist aufwendig. Dabei gehe es ums Zeit nehmen, ums Zeit haben, sagt Saunameister Didi. „Gäste kommen zur Entspannung in die Sauna, und das ist auch bei den Show-Aufgüssen nicht anders.“ Nach einer kurzen Pause fügt er hinzu: „So ein Aufguss ist dann eben eine andere Art der Entspannung.“ Und die hat sich aus einer sehr alten Tradition raus entwickelt.

Sauna – in Südtirol bedeutet das längst nicht mehr, still und mit den Augen zum Boden gerichtet auf einer Holzbank zu sitzen und stumm zu schwitzen. Dieses Brauchtum, das seine Anfänge im Alpenraum auf Bauernhöfen hatte, entwickelte sich in den vergangenen Jahrzehnten immer weiter. In Südtirol schneller als anderswo, hier scheint die Sauna-Tradition einen Schritt voraus. Das sagen die Südtiroler selbst, aber auch das Internet, wenn wir zum Beispiel nach „Event-Sauna“ und „Party-Aufgüssen“ suchen.

Das Angebot des Sauna-Entertainment wächst in Südtirol weiter, seinen Anfang hatte es aber hier: im urigen Passeiertal unweit von Meran, wo die Gäste heute Cordula Grün grölen und die Saunameister bei 87 Grad den Schuhplattler tanzen. Nicht nur vor einigen Jahrzehnten wäre das undenkbar, vielleicht sogar unpassend, gewesen. Auch vor ein paar Jahren noch war Sauna etwas anderes als es heute ist.  „Das zeigt allein schon, dass die Saunen heute nicht mehr im letzten Eck des Kellers gebaut werden“, sagt Saunameister Didi. Sondern da, wo das Panorama am schönsten ist. Vom Untergeschoss hoch aufs Rooftop. Mindestens eine der Fichtenholzwände ist heute eine Glasscheibe. Längst geht es nicht mehr um gesundes Schwitzen im stillen Kämmerlein. In einer immer schneller werdenden Welt, in der wir unseren Fokus leicht verlieren, findet Entspannung hoch oben mit Weitblick statt. Oder eben zwischen dröhnenden Boxen mit Blick auf schuhplattelnde Saunameister.

Abschalten. Das ist der Wunsch, mit dem Gäste die Sauna betreten. Und dazu muss es nicht mucksmäuschen still sein. Oder? „Das ist Geschmacksache“, sagt Didi. „Der eine kommt ganz zur Ruhe, wenn er alleine in einer stillen Sauna sitzt. Der andere lässt sich gerne in eine andere Welt mitnehmen.“

Eine andere Welt. Eine Show, ein Theater. Die Event-Aufgüsse von Saunameister Didi und seinen Kollegen sind Kunstwerke bei mehr als 80 Grad Raumtemperatur. Die Saunameister selbst verwandeln sich in Schauspieler. In Videografen, DJs und Licht-Animateure. „Um das Konzept für so einen Aufguss auszuarbeiten, sitzen wir vier, fünf Monate immer wieder dran“, sagt Didi. Nach der Themenidee kommt das Skript für die Saunameister, die Teil des Aufgusses sind. Es braucht ein Video, das den Aufguss auf der Kinoleinwand begleitet. Das wird gedreht, dann geschnitten. Dazu gibt es die passende Musikbegleitung. Ein Lichtkonzept und den Einsatzplan der Nebelmaschine. All die Arbeit im Hintergrund, die kann man sich erst vorstellen, wenn man im Vordergrund sitzt.

Der Bergbauernbuam-Aufguss ist ausgebucht. Bevor es losgeht, stehen die Gäste in einer Schlange vor der Tür, vorbei an den Duschen bis nach draußen zum Teich, in dem die Schildkröten in einer Seelenruhe ihre Runden drehen. „Tanzen die wirklich den Schuhplattler?“ Gäste flüstern, können sich das kaum vorstellen, doch irgendwo haben sie das Geheimnis aufgeschnappt. „Pssst, nichts verraten.“ Kommt es mit einem Augenzwinkern von anderswo. Als wäre der Saunaaufguss ein Theaterstück, bei dem die Pointe nicht vorher schon bekannt werden darf.

 

Als sich die Fichtenholztür schließlich öffnet, stehen wir zwar in einer Sauna, aber das Theater liegt näher: Saunameister Robert trägt ein traditionelles Dirndl und eine Perücke, rechts und links ein geflochtener Zopf über seinen Schultern. Er geht gekrümmt, in der einen Hand ein Besen aus Heu, die andere theatralisch auf den Rücken gelegt. „Kimmts rein, kimmts rein“, begrüßt er die Gäste einzeln und weist ihnen Plätze zu. Mit dem Heubesen wedelt er über den Boden, die Füße und die Sitzbänke. Aus einem Retroradio dudelt leise Schlagermusik. Die Leinwand zeigt eine Schwarz-Weiß-Aufnahme des Passiertals, das Thermometer 82 Grad Raumtemperatur. In einem Holzeimer stellt der verkleidete Saunameister drei Crushed-Ice-Kugeln für die drei Aufguss-Runden neben den glühenden Steinofen. Die Duftnoten: verschiedene Alpenkräuter. Passend zum Video auf der Leinwand. Und zu allem, was jetzt folgt.

 

Die Türen gehen zu, das Licht wird gedimmt. Film ab. Das Video auf der Leinwand zeigt die Saunameister als Bergbauernbuam mit geflochtenen Körben auf dem Rücken und einer Sense in der Hand. In Lederhose und Haferlschuhen steigen sie einen steilen Hang nach oben. Kurz flimmert die Leinwand, dann wird sie schwarz. Im selben Moment schwingt die Holztür mit einem Poltern auf. Die Szene aus dem Film verwandelt sich in ein echtes Schauspiel bei mittlerweile 87 Grad. Didi und sein Kollege Norbert tanzen den Schuhplattler, klatschen das Crushed-Ice mit Zirbenöl auf die heißen Steine, schleudern sich gegenseitig die Handtücher zu, wedeln, fächeln und tanzen in Lederhosen um den Ofen in der Mitte. Nebel- und Lichtmaschine steuern sie ganz nebenbei und fast unsichtbar über ein iPad, die Boxen grölen und auch das Publikum ebenso – spätestens beim letzten Refrain im dritten Aufguss, wenn sich Cordula Grün längst in allen Köpfen eingenistet hat.

Die Stimmung ist lebendiger als in so manchem Bierzelt. Es wird geklatscht, gewippt, gegrölt und gepfiffen. Die Holzbänke beben, der Kreislauf auch. Es ist eine verrückte, einzigartige Welt bei 87 Grad. Glück, Ekstase und Dopamin für 20 Minuten. Dann schwingen die Türen wieder auf, die Saunameister verabschieden sich mit einer Verbeugung und das Publikum strömt mich hochroten Köpfen nach draußen. Alle sprachlos, alle mit einem Grinsen und einem ungläubigen Kopfschütteln. Zeit vergessen, Raum vergessen. Kopf frei.

Auch Didi sitzt nach dem Aufguss wieder im Bademantel auf der Bank neben dem Naturteich. Auch er mit einem hochroten Kopf, aber einem ebenso breiten Grinsen im Gesicht. An die körperliche Anstrengung würde man sich mit der Zeit gewöhnen, sagt er. Aber die Reise im Kopf, das Abtauchen in eine andere Welt, das wäre jedes Mal aufs Neue ein Erlebnis. Auch für die Saunameister. „Wenn du es gewohnt bist, ganz ursprünglich vor einem stillen Publikum mit dem Handtuch zu wedeln, dann ist das hier eine Gefühlsexplosion“, erklärt Didi. „Du wirst angefeuert, es wird geklatscht, gepfiffen. Und das in einer Sauna.“ Das sagt er, als könnte auch er es immer noch nicht glauben.

Trotzdem: Entspannung funktioniert auch heute noch ohne Event. Das ruhige Schwitzen ist selbst in Zeiten von Show-Aufgüssen gefragt – auch im Passeiertal. Die Gäste nehmen zum Beispiel an einer geführten Meditation teil, ohne Schuhplattler, Nebelmaschine und Laser. Stattdessen mit Gong und Meeresrauschen. Oder ohne alles, so, wie ein Aufguss zu Zeiten stattgefunden  hat, als es weder den Begriff, geschweige denn die Sauna auf dem Rooftop gab. Dann schwebt eine Saunameisterin regelrecht über den Holzboden, als wäre sie eine Tänzerin in „Schwanensee“. Mit dem Handtuch zeichnet sie eine Choreografie in die Luft, in der nichts liegt als Licht als Wärme, Stille und Zitrusduft. Während auf der anderen Seite des Naturteichs der Schuhplattler in den Boden gestampft wird. Text: Franziska Consolati

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